Sternabert

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Montag, 19. Oktober 2015

Vokalisation Zilpzalp...

Wie vor einiger Zeit schon angekündigt hat LP, mein Freund und Wegbegleiter in Aserbaidschan  einige seiner Gedanken und Erkenntnisse zu Lautäußerungen von Zilpzalps in Beziehung zu deren etwaigen Unterartstatus zusammengetragen und in Kurzform für meinen Blog zur Verfügung gestellt. Eine zugegebener Maßen spezielle,  jedoch sehr interessante Facette der Vogelkunde, die recht tief in die Materie eindringt...
Viel Vergnügen beim Lesen  und reinhören und natürlich mit bestem Dank an den Verfasser!

Der Sternabert...


Vokalisation überwinternder Zilpzalps Phylloscopus collybita in Aserbaidschan

Eine zweiwöchige Reise durch Aserbaidschan führte mich zu einer Reihe Beobachtungen von offensichtlich überwinternden Zilpzalps. Um welche Unterart oder Art handelt es sich hier, in diesem recht wenig erforschten Bereich Europas?
Zunächst sollte man sich über die in Frage kommenden Unterarten bewusst sein:
collybita
abietinus
tristis
brevirostris
caucasicus
menzbieri

sowie das mittlerweile separierte Taxon
lorenzii

Auffällig war, dass schon der erste bemerkte Zilpzalp anders als die in Mitteleuropa vorkommenden collybita rief. Sehr oberflächlich gehört klang der Ruf wie für tristis beschrieben „hiit“. Ein genaueres Hinhören offenbarte allerdings einen leichten, aber deutlich zu hörenden Abfall der Tonhöhe am Ende des Rufes.
Äußerlich wirkte das Individuum fahler und weniger grünlich als die Nominatform, mit einem deutlichen und breiten, beigefarbenen Überaugenstreif.
Die große Überraschung zeigte sich im Verlauf der Reise dadurch, dass alle beobachteten Individuen gleich, bis beinahe gleich riefen.
Auch jeder einzelne Vogel rief den gleichen Ruf über die Beobachtungsdauer permanent und ohne große Variation. Daher liegt der Verdacht nahe, dass es sich bei den Rufen um einen voll ausgebildeten Ruf, gegenüber einem noch zu erlernenden, dadurch variierenden Ruf aus der Jugendphase handelt (Bsp. Abb. 8).

Zilpzalps waren regelmäßig (v.a. in Gewässernähe), aber nicht allzu häufig, anzutreffen.
Von sechs Vögeln konnten Belege angefertigt werden. Davon fünf mit Tonaufnahmen und drei mit Foto sowie Tonaufnahmen vom selben Individuum:

I. Şirvan (Ton, Beschreibung: Lukas Pelikan), 17. Januar
   


olivbraune Tönung von Rücken, Mantel bis Nacken
schmutzige Unterseite
prominenter (deutlich abgesetzter) beiger Überaugenstreif, hinter dem Auge wie vor dem Auge breit, d.h. vor dem Auge nicht zusammengekniffen

II. Machmudchala (Foto: Michael Heiß), 17. Januar
   

ähnlich I, dunkel olivbraune Tönung von Rücken, Mantel bis Nacken mit deutlicher Präsenz von oliv
prominenter (deutlich abgesetzter) beiger Überaugenstreif
helle einheitlich weißliche Unterseite
Schnabel schwarz, basal schwach orange Aufhellung am Oberschnabel bis etwa zu einem Viertel der Schnabellänge

III. Nərimanabad Damm (Ton, Foto: Steve Klasan), 18. Januar
   


hellerer bräunlicher Mantel bis Scheitel, mit olivgrüner Färbung über Schulterfedern
olivgrüner Saum der Arm- und Handschwingen, sowie Schwanzfedern
rostiger Anflug auf den Ohrdecken
breiter beiger Überaugenstreif
Beine und Schnabel schwarz, mit basal schwach oranger Aufhellung am Oberschnabel bis etwa zu einem Drittel der Schnabellänge
einheitlich helle weißliche Unterseite mit beigen Anflug an den Flanken
gelbe Tönung im Achselbereich, sowie rostral im Überaugenstreif


IV. Nərimanabad Dorf (Ton, Foto: Lukas Pelikan, Michael Heiß), 18. Januar

   


heller graubrauner Mantel, Nacken bis Scheitel mit prominenten Grauton
Olivgrün beschränkt auf Schulterfedern und Schwingensaum
helle, weißliche Unterseite
breiter beiger Überaugenstreif, ohne auffällige Gelbtönung
schwarze Beine und Schnabel, eventuell Aufhellung am Schnabelansatz

V. Ağgöl (Ton: Lukas Pelikan), 20. Januar
   
nicht gesehen
                                 
VI. Mingəçevir (Ton, Foto: Lukas Pelikan), 20. Januar
  


graubrauner Mantel, Nacken bis Scheitel
olivgrüner Ton auf Saum von Schwingen, Schirmfedern und äußere Schwanzfedern; olivgrüner Ton lässt sich auf Mantel stellenweise erahnen (im Feld nicht sichtbar)
helle weißliche Unterseite mit beigen Anflug, sonst eher gräulich
breiter hellbeiger Überaugenstreif mit rostral Gelbton bei genauerem Hinsehen
deutlicher, gelblichweißer Ton im Achselbereich/Alula (deutlicher gelb als im Überaugenstreif)
schwarze Beine und Schnabel mit basal deutlich oranger Aufhellung des Ober- und Unterschnabels bis etwa zur Hälfte der Schnabellänge



Spätestens im Sonagramm angesehen kann man anhand der Rufe typische tristis ausschließen.
Bei einem typischen tristis sollte der Ruf bei etwa 4-4,5 kHz auf gleicher Tonhöhe bleiben und kann am Anfang und am Ende etwas aufsteigen bzw. abfallen (um etwa 300 Hz). Ein Vogel kann allerdings in einer Reihe von Rufen einmalig (oder wenig mehr) von einem typischen Ruf abweichen.
Die hiesige Unterart caucasicus äußert einen ganz ähnlichen Ruf, der teilweise kaum vom tristis-Ruf unterscheidbar ist. Auch brevirostris, menzbieri und lorenzii haben ähnliche Rufe, die mit denen der Vögel in Aserbaidschan aber alle keine hundertprozentige Übereinstimmung zeigen.


 Abb. 7: Taigazilpzalp (ssp. tristis), 17. Mai, Kasachstan (Ton: Ralph Martin) 
  
 
Die Gefiedermerkmale der fotografierten Vögel schließen ebenso lorenzii durch das Vorhandensein von Olivgrün im Gefieder und einem nicht rein weißen Überaugenstreif aus. Vielmehr zeigen sie Merkmale, die vollkommen auf collybita zutreffen können (wie II) bis zu Übergangsmerkmalen zu tristis und Merkmalen, die auf einen (nicht-klassischen) tristis passen können (wie IV).

Auf der Suche nach treffenderen Übereinstimmungen der Rufe gelangte ich zu diversen Veröffentlichungen mit dem sogenannten „sweeoo“-Ruf.
Auffällig hierbei ist, dass alle Rufaufnahmen, die genau den gleichen Frequenzverlauf hatten, auch aus dem potenziellen Überwinterungsgebiet (wie z.B. Israel, Oman) der östlichen abietinus bzw. „fulvescens“ kommen.
Weiterhin sind diese Ruftypen bekannt aus Herbst-Invasionen in Finnland und Estland, wo sie nicht alljährlich aber teilweise in beachtlichen Größenordnungen auftreten, d.h. scheinbar die Mehrheit der dortigen Zilpzalps diesen Ruftyp aufweisen.
Antero Lindholm beschreibt diese als solche, die einen zunächst aufsteigenden und dann einen absteigenden Teil besitzen, wobei der Startpunkt höher ist, als der Endpunkt im Frequenzverlauf. Der in Aserbaidschan gefundene Ruftyp entspricht dem Typ H2 seiner Publikation (s.u.).
In Hannu Jännes CD „Calls of Eastern Vagrants“ taucht dieser Ruftyp als „östlicher abietinus“ deklariert auf; aufgenommen im August in Uusimaa, Finnland. Hier wird erwähnt, dass diese Rufe auf dem Herbstzug in Westeuropa und Griechenland und von Durchzüglern und Überwinterern in Israel geäußert werden und wohl den östlichen abietinus zugeordnet werden können.
Weitere Individuen mit diesem Ruf tauchten invasionsartig in Spanien im Winter auf.

Das große Problem ist einerseits, dass viele schriftliche Beschreibungen der alternativen Rufe (vor allem in älteren Publikationen) nicht weiterhelfen und so auch nicht ausgewertet werden können, da sie ohne die hörbare Tonaufnahme oder ein Sonagramm zu viel Raum für Interpretationen lassen, und andererseits – und das ist der wichtigste Punkt – dass viele verschiedene Rufe in der Vergangenheit als „sweeoo“-Ruf deklariert wurden, obwohl sie sich teilweise unterschiedlich anhören und sich deutlich im Sonagramm unterscheiden. Verschiedene Autoren nehmen Bezug auf „den sweeoo-Ruf“, obwohl sie eine (teilweise leicht) veränderte Variante behandeln.

Das Team von The Sound Approach hatte 2006 den „sweeoo“-Ruf (oder „wheeo“) als einen Jungvogelruf erklärt. Nach deren Auffassung äußern Vögel in einem bestimmten Entwicklungsstadium der Ruferlernung einen solchen Ruf  auch noch auf dem Wegzug.
Das stimmt natürlich bei den von ihnen behandelten Tonaufnahmen, jedoch zeigen die Rufe in Aserbaidschan alle keine Variation innerhalb der Ruffolge (also typisches Jungvogelmuster) – und weitere Vögel aus dem Nahen Osten und der groben Region ebenfalls nicht; genauso wenig wie die Aufnahme von Hannu Jännes CD.

Abb. 8: Zilpzalp, Jungvogel, 30. Juli, Deutschland (Ton: Ralph Martin)
  
 
Bei weiterer Recherche fanden sich zahlreiche weitere Lautäußerungen, die nicht auf das typische Jungvogelmuster passten, aber sich deutlich von den in Aserbaidschan geäußerten Rufen unterscheiden und immer wieder wiederholt auftreten. Diese werden hier aber nicht weiter behandelt. Teilweise wurden schon einige in Publikationen als „sweeoo“-Ruf behandelt.

Ob es sich womöglich um eine eigene Population handelt, die einen tristis-ähnlichen-Ruf hat und vorrangig von südlich des Großen Kaukasus über den Nahen Osten bis hin zum Oman überwintert, also dadurch die Anfangsthese von Hannu Jännes bestätigt, ist nicht klar und muss noch durch weitere Forschungen, vor allem an Brutvögeln bzw. auch singenden Individuen auf dem Durchzug, bewiesen oder widerlegt werden.
Hinweise gibt es durch Mitschnitte in Westrussland aufgenommener Brutvögel, die diesen Ruftyp äußern.



Festhalten sollte man: Es besteht bei sehr gräulichen Individuen eine Verwechslungsmöglichkeit mit „echten“ Taigazilpzalps (ssp. tristis), da diese Rufe im Feld ohne Referenz sehr ähnlich dem flachen Frequenzverlauf des tristis-Rufes klingen können – vor allem aus der Entfernung. Auch die weiteren hier nicht behandelten Rufe können mit tristis-Rufen verwechselt werden.
Und: Die abnormalen Rufe von Zilpzalps wurden in der Vergangenheit offensichtlich über einen Kamm geschert und, trotz teilweise großer Differenzen, gleich behandelt und bewertet – obwohl sich ein divergentes Auftretensmuster bei zumindest einem Typ andeutet.


Summary:
In Azerbaijan in winter 2015 we encountered many Chiffchaffs which all called persistently. All had the exact same call and no one had significant variation within the call itself. Therefore a juvenile call that shows plasticity seemed unlikely as an explanation.
My conclusion is, the so-called and much discussed ‚sweeoo call’ has been lumped together with several different vocalisations which each have different but consistent appearances seasonally and partly also geographically. Several ‚variants’ of the ‚sweeoo call’ are already described in different papers, some referring to a different one respectively.
The exact match of the in Azerbaijan recorded call was found in the invasion years in Finland and Estonia, Spain in winter and especially also wintering in Oman and Israel.
A breeding bird in West Russia uttering this call indicates an origin of this call farther north, presumably in Volga area, thus supporting a thesis that this call is typical for eastern abietinus.
But further studies are needed to explain the full vocabulary and its use of Chiffchaffs especially of the eastern populations.


Literaturhinweise:
Copete, J.L & Armada, R. 2004: Unusual calls of Chiffchaffs Phylloscopus collybita in NE Spain in autumn-winter: an alert to Spanish observers http://www.rarebirdspain.net/arbsi026.htm
Lindholm, A 2014: Occurrence of the alternative call of Common Chiffchaff in Finland and Estonia
Constantine, M & The Sound Approach 2006: The Sound Approach to birding
Christen, W 2012: Abweichende Rufe beim Zilpzalp Phylloscopus collybita im Großraum Solothurn